Gastbeitrag: Gezwungenermaßen zurück zur DVD

Ins Kino gehe ich nie, und außer Tatort und Weltspiegel schaue ich fast kein Fernsehen. Trotzdem haben wir zuhause den Festplatten-Rekorder mit Videoverleih von der Telekom, Entertain genannt. Der Grund dafür mag seltsam klingen: Ich hörte auf einer Konferenz, dass es für Entertain eine App fürs iPhone gibt, und dass man damit die Aufnahme von überall auf der Welt programmieren kann. Das fand ich so faszinierend, dass ich es unbedingt haben wollte. Heute will ich es alleine deswegen nicht mehr missen, weil ich auf der Autobahn am Sonntagabend im Stau stehend übers Handy ganz schnell die Tatort-Aufnahme programmiere. Sind wir dann zuhause, starten wir in aller Ruhe unsere Aufnahme, und schauen die neuste Folge zeitversetzt, während Entertain das Ende noch aufnimmt. Großartig.

Apple-TV haben wir übrigens auch. Weil man Bilder und Musik so praktisch auf den Fernseher streamen kann, natürlich. Dass auch bei Apple ein Videoverleih dabei ist, haben wir erst spät bemerkt. Dann aber hat es unser Medienrezeptionsverhalten geprägt: Wir kaufen keine DVDs mehr, sondern streamen die Filme, die uns interessieren. Und wir schauen nur noch in die Fernsehprogramm-App, um aufzunehmen, was wir sonst vielleicht verpassen. Oft liegen zwischen Aufnahme und Anschauen dann aber Monate.

Egal ob Aufnahme oder Streaming – DVDs sind zumindest für uns out. Meistens sieht man sie sowieso nur einmal, danach verstauben sie im Schrank. Die Gebühr fürs Leihen ist sowohl bei Apple-TV als auch bei Entertain so günstig, dass ich das Produkt nicht mehr dinglich besitzen muss. Genau so wenig wie CDs, Zeitungen oder Zeitschriften. Die konsumiere ich lieber digital, und ich zahle auch gerne dafür einen fairen Preis. Im logischen Umkehrschluss haben wir fast alle DVDs bei Momox oder Ebay verkauft, die CDs gehen langsam aber sicher den selben Weg.

Nicht alles ist digital

Umso erstaunter war ich vor einigen Tagen: Ich interessiere mich gerade sehr für Memphis, Tennessee, und habe festgestellt, dass es einige Filme gibt, in denen diese Stadt eine wesentliche Rolle spielt. Wie groß war mein Erstaunen, dass ich weder Mystery Train von Jim Jarmusch aus dem Jahr 1989 noch Great Balls of Fire mit Dennis Quaid und Wynona Rider von 2003 dort fand. Meine erste Reaktion war: „Dann schaue ich mir die Filme halt nicht an“, denn eigentlich wollte ich ja keine neuen DVD-Hüllen im Haushalt. Doch der Wunsch, den Film zu sehen, war größer: Ich habe mich also für den Kauf entschieden, allerdings mit dem festen Entschluss, die DVDs sofort weiterzuverticken, wenn ich sie gesehen habe. Bis es soweit war, brachte der Preisvergleich ein ebenfalls erstaunliches Ergebnis: Bei Amazon kostete die günstigste Ausgabe von Mystery Train inklusive Versand 6 Euro, bei Ebay wird sie mehrfach für 16 oder sogar 23 Euro angeboten. 23 Euro für eine DVD? Rätselhaft.

Zugegeben: Manchmal frage ich mich, was passiert, wenn durch einen technischen Defekt alles weg wäre: Bilder, Bücher, Musik, Videos. Und über die Cloud auch nicht mehr herstellbar wäre. Weil vielleicht jemand den Stecker vom Internet gezogen hat – oder was auch immer. Aber ganz ehrlich: Sollte das passieren, wird die Welt vermutlich ganz andere Probleme haben.

Die Autorin Bettina Blaß ist selbstständige Wirtschafts-Journalistin, Dozentin und Buchautorin in Köln. Ihre Homepage: http://www.wirtschaft-verstehen.de

Wenn Fernsehen allein nicht reicht

Kurz vorweg: Ich habe vor einigen Jahren ein berufsbegleitendes Studium im Fach Medienwirtschaft an der RFH Köln begonnen. Jetzt bin ich damit fast durch und seit heute ist zumindest die Abschlussarbeit benotet und freigegeben. Ich habe mich mit dem Phänomen „Social TV“ beschäftigt und dazu eine empirische Studie gemacht, deren Ergebnisse ich hier vorstelle.

Immer mehr Menschen nutzen das Internet parallel zum Fernsehen, um sich mit anderen über das Fernsehprogramm auszutauschen.  Dies findet in der Regel in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter statt. Dafür hat sich der Begriff „Social TV“ etabliert. Mein Ansatz war, dass diese Parallelnutzung vom Endgerät abhängig ist: Mit einem schweren Laptop auf dem Schoß macht man weniger als mit einem leichten Smartphone oder Tablet-PC. Daher habe ich untersucht, inwieweit die Parallelnutzung von der Nutzungssituation abhängig ist. Untersuchungsgegenstand ist der Tatort.

Der Tatort gehört zu den beliebtesten Formaten im deutschen Fernsehen. In der Rangreihe der meistgesehenen Fernseh- und Spielfilme 2011 sind die ersten zehn Plätze durchgängig mit Tatort-Folgen besetzt. Diese Beliebtheit spiegelt sich in den Nutzern der Facebook-Seiten annähernd wieder. Hier gehört die offizielle Tatort-Seite zu den Top 10 der Seiten von deutschen Fernsehsendungen. Während der Ausstrahlung des Tatorts wird die Facebook-Seite intensiv genutzt. Nutzer hinterlassen mehrere Hundert Kommentare mit direktem Bezug zur aktuellen Sendung. Im Vor- und Nachgang einer einzelnen Sendung können bis zu 1.500 Kommentare erreicht werden.

Zunächst habe ich in qualitativen Interviews (noch einmal Danke an alle Interviewpartner) mögliche Nutzungssituationen und Motivationen in Erfahrung gebracht. Daraus habe ich folgende Hypothesen generiert:
  1. Social TV wird genutzt, um ein Kommunikationsbedürfnis zu befriedigen, wenn der Tatort alleine konsumiert wird.
  2. Social TV wird genutzt, weil das Angebot vorhanden ist und sich leicht nutzen lässt.
  3. Social TV wird hauptsächlich mit dem Smartphone genutzt.
  4. Der TV-Konsum findet weiterhin mit einem regulären Fernsehgerät statt.
  5. Beim Tatort wird Social TV genutzt, wenn die Handlung nicht spannend genug ist.
  6. Apps wie Couchfunk spielen beim Social TV nur eine untergeordnete Rolle.

 In einer (nicht-repräsentativen) Online-Umfrage mit mehreren Hundert Teilnehmern habe ich die Hypothesen dann geprüft. Das Fazit:

Die zunehmende Verbreitung von internetfähigen Geräten wie Smartphones und Tablet-PCs scheint die Parallelnutzung stark gefördert zu haben. Da der meistgenutzte Second Screen das Smartphone ist, kann man durch die weiterhin steigende Verbreitung von Smartphones auch mit einer Zunahme der Parallelnutzung rechnen.

Auch die Nutzungssituation beeinflusst die Parallelnutzung: Wer alleine ist, greift häufiger zum Second Screen.

Der Second Screen bleibt der zweite Bildschirm. Das TV-Programm wird weiterhin überwiegend auf dem TV-Gerät konsumiert. Lediglich in Fällen, in denen kein TV-Gerät vorhanden ist, kommen andere Übertragungswege (zum Beispiel Livestreams) zum Zug. Insofern sollten Fernsehsender das Angebot an Livestreams ausbauen, um die Zielgruppe zu erreichen, die kein TV-Gerät besitzt.

Spezielle Social-TV-Apps erreichten in der Studie keinen nennenswerten Anteil bei der Parallelnutzung. Insofern muss kein TV-Sender in die Programmierung einer App investieren, sondern es scheint ausreichend, eine offizielle Präsenz des Senders bzw. der Sendung in sozialen Netzwerken anzulegen.

Die komplette Arbeit zum Nachlesen gibt es hier (PDF, 3,5 MByte).